Sujata: HimalayanLife Mitarbeiterin mit Herz und Seele

Sujata ist Lehrerin unserer Mini-Schule in Ripaar, Sinduphalchowk

Sujata ist Lehrerin unserer Mini-Schule in Ripaar, Sinduphalchowk

Mein Name ist Sujata Mangrati. Meine Mutter hat 9 Kinder geboren, aber nur 3 haben überlebt. Ich bin 21 Jahre alt und die Jüngste in meiner Familie. Das ist meine Geschichte: Geboren bin ich in der Nähe von Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal. Meine Eltern haben etwas Landwirtschaft betrieben, aber finanziell war es immer schwierig und wir haben um unser Überleben gekämpft. Weder mein Vater noch meine Mutter haben einen Schulabschluss. Schulische Bildung hatte in meiner Familie keinen hohen Wert. Meine beiden älteren Schwestern mussten die Schule nach der 4. Klasse verlassen. Ich weiß nicht genau woran es lag, aber ich hatte schon als kleines Mädchen den großen Wunsch, eines Tages eine gute Ausbildung zu haben, vielleicht sogar einen Master. Meine Familie war hinduistisch, aber mein Onkel und einige unserer Nachbarn waren Christen. Ich hörte sie oft Lobpreislieder singen, und diese Lieder gefielen mir. Also ging ich mit ihnen in die Gemeinde, und dort wurde ich Christ. Meine mittlere Schwester folgte, und dann meine Mutter.

Als ich in die 3. Klasse ging, wurden die Schulgebühren angehoben. Meine Eltern wollten mich von der Schule nehmen. Zu dem Zeitpunkt kam ein Angebot von einem ausländischen Sponsor: Er war bereit, für einige ausgewählte Schüler und Schülerinnen aus ärmlichen Verhältnissen, jedoch mit guten Leistungen, die Schulgebühren für die gesamte Schullaufbahn zu übernehmen. Ich wurde ausgewählt. Als ich in die 9. Klasse ging, änderte sich mein Leben drastisch:

Meine älteste Schwester wurde verheiratet und zog zu der Familie ihres Mannes. Der Sponsor aus dem Ausland verstarb plötzlich bei einem Unfall, so dass die finanzielle Unterstützung eingestellt wurde. Mein Vater wurde schwer krank und starb. Plötzlich waren nur noch meine Mutter und meine ältere Schwester übrig. Meine Schwester fand keine Arbeit. Finanziell ging es uns sehr schlecht. Ich wurde depressiv und konnte mich nicht mehr auf meine schulischen Leistungen konzentrieren. Sie sagten mir, dass ich in Englisch durchgefallen sei und deshalb keinen Schulabschluss hätte. Mein Onkel hat Einspruch erhoben und Einsicht in die Examen gefordert. Am Ende hat sich herausgestellt, dass es ein Fehler im System war, und ich habe meinen Schulabschluss doch noch bekommen, die Voraussetzung für höhere Bildung. Allerdings war das nächste staatliche College sehr weit weg, und die private Colleges sehr teuer. Außerdem hatte ich 3 Monate verloren durch den Einspruch bzgl. meines Schulabschlusses. Was sollte ich tun? Ich ging zu dem Direktor des privaten Colleges, 4 km von unserem Haus entfernt, schilderte ihm meine Situation und bat

ihn um eine Vergünstigung, die er mir gewährte. Gleichzeitig suchte ich mir einen Job. Durch die Arbeit waren meine Hände oft wund und blutig, und es war mir kaum möglich einen Stift zu halten. Nach 3 Monaten kündigte ich und begann eine neue Arbeit, doch die Firma musste nach einigen Monaten schließen. Eines Tages erzählte eine Freundin aus der Gemeinde von der Öffnung einer Recycling-Firma in Kathmandu, „Himalayanlife Plastics“. Die Arbeit dort war mein erster Kontakt mit „Himalayanlife“, und dort lernte ich auch Daniel Bürgi, Matthias Geisel und Sonam Sherpa (später Leiter von „Yangri hope“, aktuell Projektleiter des „Yangri Academics Centre“) kennen.

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Kurz darauf wurde Nepal von einem sehr starken Erdbeben heimgesucht. Neben vielen anderen Menschen verlor auch meine Familie alles, was wir besaßen: Unser Haus, alles was darin war und unsere Felder wurden komplett zerstört. Gemeinsam mit 7 anderen Familien wohnten wir 2 Monate lange in einem Gewächshaus aus Bambus und Plastik. 35 verzweifelte Menschen auf so engem Raum. Nahrungsmittel waren sehr teuer. Die einzigen Sanitären Anlagen die noch funktionstüchtig waren gehörten zur nahe gelegenen Gemeinde, und wir teilten sie uns mit dem halben Dorf.

Mit der Hilfe meines Schwagers bauten wir uns eine eigene Notunterkunft, aus Bambus und Wellblech. Meine Mutter und meine Schwester wohnen bis heute in dieser Unterkunft.

Über Sonam hörte ich von Yangri und Ripaar. Er zeigte mir Fotos von dem vollständig zerstörtem Dorf und der Kinder, die dort in den Trümmern lebten. Er erzählte mir, dass Himalayanlife dabei sei, dort oben in Ripaar eine Mini-Schule zu starten, um diesen Kindern die Chance auf eine Schulbildung zu geben. Zu dem Zeitpunkt war ich in meiner Gemeinde stark in die Kinderarbeit involviert und Gott hat mir eine starke Liebe für Kinder geschenkt. Als Sonam mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, nach Ripaar zu ziehen und dort die Mini-Schule zu führen, hat er mir ganz offen die Situation vor Ort beschrieben. Er erzählte von den Herausforderungen, den Gefahren, und auch von der mangelnden Unterstützung dieser Kinder von Seiten der Regierung. Was er mir erzählte hat mein Herz berührt, aber mich auch sehr aufgewühlt. In Nepal ist es absolut unüblich, dass eine junge Frau alleine reist, alleine arbeitet, geschweige denn alleine wohnt, ohne Freunde und andere junge Frauen an ihrer Seite. In Kathmandu hatte ich meine Gemeinde, meine Familie und meine Freunde. Außerdem war mein ursprünglicher Plan, jetzt wo ich das College geschafft hatte mit meinem Studium anzufangen.

War es für mich an der Zeit, den Plan mit dem Studium aufzugeben? Was würde meine Familie sagen? Ich erinnerte mich an die Zeit, wo ein Fremder mir die Chance gegeben hat, meinen Traum zu verwirklichen, weiter zur Schule zu gehen und meinen Abschluss zu machen. Ich hätte mir so sehr gewünscht, diese Person eines Tages persönlich zu treffen und ihr zu sagen, wie dankbar ich bin! Doch diese Chance hatte ich nie. Um die Kinderarbeit in der Gemeinde weiter zu führen würden sich bestimmt Leute finden lassen, aber wer würde schon nach Ripaar gehen? An einen Ort, wo es kein Netzwerk gibt, keinen Internetzugang, keinen Laden, keine Gemeinde, und bis jetzt auch keine Schule? Die Arbeit in Ripaar war eine Möglichkeit für mich, meine Dankbarkeit zu zeigen und etwas zurück zu geben von dem, was ich bekommen hatte. Sponsoren können mit ihrem Geld helfen, wir Nepalis können mit unserer Zeit und Arbeit helfen. Meine Familie reagierte zunächst sehr skeptisch. Sie machten sich Sorgen, weil der Weg und die Wohnumstände dort nicht ungefährlich waren. Doch am Ende erlaubten sie mir, meine eigene Entscheidung zu treffen.

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Etwa zwei Monate später war ich auf dem Weg nach Ripaar. Es war eine lange Reise. Die Straßen waren in extrem schlechten Zustand und über weite Strecken für Fahrzeuge unpassierbar, so dass wir die meiste Strecke zu Fuß bewältigen mussten. Es war bereits dunkel als ich zum ersten Mal Ripaar betrat. Die Dorfbewohner hatten mit vereinten Kräften eine Notunterkunft für mich gebaut. Eine Familie hatte ein Stück Land gespendet und dort, mitten auf einem Reisfeld, hatten sie ein kleines Schulgebäude errichtet, unsere Mini-Schule.

Mein Start in Ripaar war nicht einfach. Ich litt unter der Einsamkeit und kämpfte mit Sprachbarrieren, denn die meisten Menschen in Ripaar sprechen Sherpa als erste Sprache, nicht Nepali. Doch die Dorfbewohner nahmen mich sehr herzlich auf. Mit Hilfe meiner Schüler begann ich, ein bisschen Sherpa zu lernen. Und Gott half mir, die Einsamkeit in Ripaar dazu zu nutzen, um die vielen schwierigen Ereignisse in meinem Leben zu verarbeiten und Frieden darüber zu finden.

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Das Unterrichten machte mir großen Spaß. Trotz der Altersspanne von 3-11 Jahren und der sprachlichen Herausforderungen gelange es mir schnell, eine gute Beziehung zu meinen 14 Schülern und Schülerinnen aufzubauen. Meine Unerfahrenheit als nicht ausgebildete Lehrerin bereitete mir Kopfschmerzen und ich war unsicher, wie ich unterrichten sollte und was. Zu Anfang legte ich meinen Schwerpunkt darauf, Nepali zu unterrichten, da die Schulbücher ebenfalls in Nepali Sprache geschrieben sind. Ein paar Wochen später bekam ich fachliche Unterstützung von außen. Zunächst war ich sehr nervös bei dem Gedanken, von einer Ausländerin beobachtet zu werden die mir dann alle meine Fehler sagt. Doch die Angst stellte sich als unbegründet heraus.

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Eine Lehrerin aus Deutschland, Katalin Geisel, fing an, mich regelmäßig in Ripaar zu besuchen. Seit fast zwei Jahren wohne und arbeite ich nun in Ripaar. Die Zeit dort hatte ihre Höhen und Tiefen. Doch mit Unterstützung von Katalin habe ich viel gelernt! Nach wie vor bin ich manchmal unsicher in meiner Rolle als Lehrerin. Letztens habe ich meine alte Schule besucht. Ich hatte das Gefühl, dass sich bis auf das Datum nichts verändert hat. Ich möchte gerne noch mehr Fähigkeiten erlernen die man braucht, um „anders“ zu unterrichten als es in Nepal üblich ist. Mein Unterricht soll mehr beinhalten als einfach nur stur mit dem Buch zu arbeiten und Inhalte zu kopieren, ohne Erklärungen oder zusätzliche Arbeitsmaterialien, so wie ich es in meiner Schulzeit erlebt habe.

Mein Traum ist es, selbst noch mehr Erfahrung zu sammeln und gleichzeitig einen Teil dazu beizutragen, das Nepali Schulsystem zu verändern.

Eines Tages möchte ich anderen Lehrern das weitergeben, was ich schon gelernt habe und noch lernen werde.





Peter Schaeublin2017